2010 verließ unser Inklusionsschüler Fabian Richter die Evangelische Mittelschule Gersdorf. Nun arbeitet er in Lichtenstein beim „A-T-S Auto-Teile-Service Ramm“. Ich habe ihn dort besucht und seinen Arbeitsalltag begleitet. Es ist ein herrlich warmer Herbsttag. Die Luft ist frisch, die ersten Blätter fallen von den Bäumen. Aus den Toren der Werkstatt summt leise Musik. Ich treffe Fabian im Pausenraum an. Dort isst er gerade die Reste seines Mittagessens auf und putzt den Teller mit einem Löffel hastig sauber. Darauffolgend schaut er mich mit seinem typisch breiten Grinsen an und bietet mir einen Stuhl an. Der Pausenraum ist recht gemütlich eingerichtet. An den Wänden hängen Ablaufpläne für Fabian und Postkarten von seinen unzähligen Reisen. Ich sitze noch nicht richtig, da fängt er schon mit Erzählen an. Seine Pause ist nun vorbei.

 

Fabian hat einen festen Arbeitsplan mit Aufgaben, die er erfüllen muss. Trotz der langen und anstrengenden Arbeitstage hat er viele Hobbys, denen er regelmäßig nachgeht. Neben dem Reiten, wo er jeden Mittwoch hingeht, besucht er jeden Dienstag das Schwimmtraining. Außerdem fährt er jeden Freitag nach Zwickau. Dort bekommt er im Robert-Schumann-Konservatorium Schlagzeugunterricht. „Das war so schön in meiner Schulzeit. Da kann ich mich noch gut erinnern.“ In seinen sechs Jahren an der Schule begleitete ihn unsere Inklusionsassistentin Kati Höppner. Auch jetzt hat er noch viel Kontakt mit ihr, da er bei ihr jeden Mittwoch Reiten geht. Er verbindet mit seiner Schulzeit viele schöne Erlebnisse. Auch weiß er noch, bei wem er gerne Unterricht hatte, welcher Schüler in den Stunden immer störte, wie toll die Klassenfahrten nach London, Auschwitz und in die Lüneburger Heide waren oder dass er zu seinem letzten Schultag mit einem Traktor nach Hermsdorf fuhr. Chemie und Gemeinschaftskunde – das waren seine Lieblingsfächer. Er fügt hinzu, dass ihm Sport bei Herrn Hoppe auch immer viel Spaß bereitet habe. Nach fünf Jahren Schule kam er nun in die zehnte Klasse, wo auch er einige mündliche Prüfungen auf Hauptschulniveau absolvieren musste. Mit einer Eins in Englisch und Geografie hat er seine Prüfungen „überstanden“, wie er selbst meint. Man merkt ihm seinen Stolz an, als er dies sagt. Wieder überzieht sein Gesicht ein breites Schmunzeln. Nun frage ich, was sein erster Gedanke sei, wenn er „Evangelische Oberschule Gersdorf“ hört. „Mein erster Gedanke: Ich bin nämlich Christ. Und Christen gehen in die evangelischen Schulen.“ Das einzig Negative, was er mit der Schule verbindet, ist, dass es bei den Umbauarbeiten der Toiletten sehr laut im Haus war und er manchmal aufs Mädchenklo gehen musste, was ihm nicht so sehr gefiel. Auch ist er jeden Donnerstag zur Logopädie und aller zwei Wochen montags zur Physiotherapie.

Ich bin erstaunt, wie strukturiert und geplant seine Wochen sind. Er hat immer viel zu erledigen auf Arbeit. Dennoch verliert er nie die Freude daran. Mit seinem unverkennbaren Lächeln führt er mich nun durch die Werkstatt und zeigt mir seine Aufgaben. Fabian erzählt mir, dass er im Sommer den Hof und die Auffahrt kehrt und diese im Winter schippt. Außerdem kehrt er in der Werkstatt und den restlichen Räumlichkeiten. Besonders freut er sich immer, wenn er den Pausenraum aufräumen und sauber machen darf. Er führt mich weiter durch die Werkstatt und bleibt dann vor einem großen Apparat stehen. Stolz führt er mir das Gerät vor. Den Automaten – eine Felgenwaschanlage – hat Fabian bekommen, damit er die Felgen nicht mehr per Hand reinigen muss. Das Einzige, was man hier zu tun hat, ist, das Rad in die Anlage zu legen, einzustellen, ob es Alu- oder Stahlfelgen sind, und auf Start zu drücken. Fabian drückt unerwartet auf „Start“. Ich zucke zusammen und Fabian hüpft vor Freude neben mir auf und ab. Zwei Minuten wird jetzt die Maschine benötigen, um das Rad zu reinigen. Im Anschluss muss Fabian nur noch mit einer Luftdruckpistole hängengebliebene Reinigungspellets wegpusten. Bei laufendem Waschgang schaue ich Fabian an und frage ihn, ob es ihm Spaß macht, die Räder so zu waschen. „Ja. Viel, viel Spaß hab´ ich dran!“ ruft er zurück. Die Wäsche ist zu Ende. Die einst schmutzige Felge ist nun wie neu. Fabian legt das Rad vorsichtig im Reifenlager ab und geht mit mir auf den Hof. Dort soll ich warten. Einige Minuten später kommt er mit einer großen Kiste zurück. Darin sind seine Reinigungssachen, die er benötigt, um Autos sauber zu machen. Denn erst neulich hat er die Autoinnenreinigung für sich entdeckt. Mit viel Sorgfalt sprüht er die Armatur mit einem Reinigungsmittel ein, bevor er sie mit einem Tuch abwischt. Auch hier darf der Luftdruck nicht fehlen, denn mit einem Hochdruckreiniger pustet er die Sitzpolster der Sitze aus. Man merkt wirklich, wie viel Herzblut und Freude Fabian beim Reinigen der Autos hineinsteckt. Er versinkt förmlich in einer eigenen Welt und beseitigt sehr liebevoll jeden noch so kleinen Fleck auf Glas, Stoff oder Plastik. Nach jedem Reinigungsvorgang schaut er sich sein Schaffen gründlich an und nickt es lächelnd ab. Später einmal, so sagt er mir, möchte er auch noch mehr tun. Nicht nur Kehren, Geschirrspülen, Reifenwaschen oder Autos reinigen. Nein, er möchte sich auch mal so richtig die Hände schmutzig machen. Sein größter Wunsch ist es, einmal Öl zu wechseln oder Winterreifen aufzuziehen und sogar ein kaputtes Auto zu reparieren. Zufällig treffe ich einen Kollegen von Fabian und frage ihn, wie er das Arbeiten mit ihm findet. „Ganz entspanntes Arbeiten. Manchmal muss man bissel aufpassen, weil manchmal macht er auch Blödsinn. Aber wenn er mal Urlaub hat, fehlt irgendwas hier. Ist schon schön mit ihm.“ Ich bin jetzt schon fast 3 Stunden bei Fabian in der A-T-S-Werkstatt in Lichtenstein. In dieser Zeit hat er mir so viel gezeigt und erzählt, dass die Zeit wie im Fluge vergangen ist. Ich bin noch nie einer so lebensfrohen Person begegnet, wie Fabian es ist. Ich freue mich jedes Mal, wenn ich ihn auf der Straße treffe. Er hat das Motto der Schule mitgenommen und umgesetzt. Fabian hat gelernt zu leben.

Nico Leistner, FSJler
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